Blümchenlokomotiven |
von Stephan Zöllner
Während meiner zwölfjährigen Tätigkeit als Lokführer beim altehrwürdigen Bw Hagen-Eckesey war ich auch vertretungsweise in der Lokleitung und als Dienstplan-Sachbearbeiter bei der B-Gruppe eingesetzt. So auch im Januar 1996, wo am Freitag den 19. um kurz vor Drei im Büro das Telefon klingelt. Die Planungsgruppe will noch schnell zwei Sonderdienste für Montag, den 22.01. loswerden.
Das wird den Disponenten in der Lokleitung gar nicht freuen, sind doch so kurz vorm Wochenende bereits
alle Personale verplant und dann auch noch beide Schichten 218-behaftet mit für Hagen doch exotischen Zielen. Der Kollege am anderen Ende der Leitung faselt etwas von geschlepptem ICE-Triebkopf zum Siemenswerk nach Essen Nord und Bedarfszug in der Relation Hagen Kabel – Bremerhaven-Kaiserhafen — aber das mit der BR 218 ?
Schnell werden die Eckdaten notiert und die Dienste vom Planungsserver heruntergeladen. Dann erinnere ich mich an ein Telegramm, welches tags zuvor aus dem Fernschreiber getickert kam. Dort steht tatsächlich geschrieben: ICE-Triebkopf geschleppt von 2 x BR 218. Schnell wird die gute, alte TA 1069 befragt und nach der Eingabe 83860 spukt das Gerät als Zugloks 218 416 + 218 418 aus, die beiden in den Farben des Touristikzuges lackierten Regensburger Maschinen.
Nach kurzer Recherche stellt sich heraus, das die beiden Loks auf dem Weg zum Aw Bremen sind, wo neue Zugfunkgeräte (Mesa 2002) für den gesamtdeutschen Einsatz eingebaut werden sollen. Um eine teure Leerüberführung zu vermeiden haben die beteiligten Zugleitungen ein munteres Pensum zusammengestellt, welches wie folgt aussieht:
ICE-Überführung 83860 München-Laim – Essen Nord
Lz Essen Nord – Brügge ⁄ Westf.
Schotterzug 76991 Brügge – Hagen Gbf
Lz Hagen Gbf – Hagen Eckesey
Tanken und Zwischenabstellung im Bw
Lz Hagen Eckesey – Hagen Kabel
74575 Hagen-Kabel – Bremerhaven-Kaiserhafen, weiter Lokdienst.
Für Hagen fallen dabei die Leistungen 83860 ab Hagen Vorhalle bis 74575 an Bremerhaven in zwei Schichten an. Das ist natürlich die einmalige Gelegenheit beide Blümchenloks mal selbst fahren zu können. Nach kurzer Überzeugungsarbeit lassen sich die Kollegen der B-Gruppe überreden, mal einen Vormittag auf meine Mitarbeit zu verzichten. Auch der Lokdienstleiter ist hocherfreut, gilt es doch nur noch einen Spezialisten für den Zug an die Küste zu finden. Schon quillt der Sonderdienstzettel für die kurze Frühschicht 9417 aus dem Drucker und nachdem auch mein Bruder über das bevorstehende Highlight informiert ist, kann das Wochenende getrost eingeläutet werden.
Telegramm WbZ 83860 | Ausdruck TA 1069 | Dienstschichtzettel 9417 | Fahrplanbekanntgabe | ||
Montagmorgen, 22. Januar 1996: Mit dem 3066 geht es Fahrgast nach Vorhalle. Aus der Rangierbude gegenüber dem Bahnsteig wird über die Gegensprechanlage der Fdl vom Stellwerk "Vof" über den geplanten Personalwechsel informiert, so können die Münchener Kollegen ohne großen Fußweg gleich ihren Fensterplatz Richtung Heimat einnehmen. Mit nur ein paar Minuten "plus" kommt die Fuhre gegen halb acht tatsächlich am Zwischensignal zum Halten. Für ein erstes Bild ist es leider noch zu dunkel, also bleibt die Mamiya vorerst noch in der Tasche. Nach kurzem Ablösegespräch und Fertigmeldung geht es zügig über Wetter, Witten, Bo-Langendreer und Präsident nach Essen Nord, Ankunft um kurz nach Acht.
Auf dem Stellwerk erfahre ich vom Fdl, das die Rangierer erst gegen Mittag hier eintreffen werden, der ICE-Triebkopf aber so schnell wie möglich beim Siemenswerk zugestellt werden soll. Er vereinbart mit der Firma den Tw am Übergabepunkt, ein Gleis mit Umfahrmöglichkeit irgendwo in der Pampa, abzuholen. Mit ein paar Weichenschlüsseln bewaffnet geht es für mich dann mit Schrittgeschwindigkeit los ins Ungewisse auf die Anschlussbahn.
Etwa drei Kilometer und mehrere Weichen weiter kommt dann zum ersten Mal die Kamera zum Einsatz, ehe die vorher beschriebene Stelle erreicht wird. Nach ein paar Minuten erscheint aus der anderen Richtung tatsächlich ein Zweiwegeunimog, um den ICE samt Schutzwagen zu übernehmen. Alles wieder in Grundstellung verschlossen, rollen die beiden 218 solo zurück nach Essen Nord.
Neben Rückgabe der Schlüssel gilt es nun die neue Lz-Nummer nach Brügge zu erfahren. Leider hat inzwischen die Zugleitung mitgeteilt, das der übereifrige Fahrdienstleiter in Brügge den Schotterzug mit der gerade arbeitslosen Rangier-V 90 schon nach Hagen in Bewegung gesetzt hat. Somit wird es also nichts mit dem erhofften Bildchen der beiden Touris unter dem bekannten Reiterstellwerk. Stattdessen geht es gleich als 84067 zurück nach Hagen Eck.
Inzwischen lacht die Sonne vom strahlend blauen Himmel als sich bei der Durchfahrt Vorhalle der Eckeseyer Fdl über Zugbahnfunk mit der Bitte um einen kleinen "Fotohalt" unter seinem Reiterarbeitsplatz meldet. Bei der Einfahrt in den Bahnhof sind schon ganze, offenbar sehr gut informierte Fuzzyheerscharen inklusive eines sehr bekannten Videofilmers in den Gleisen auszumachen. Langsam lasse ich die beiden Maschinen unter dem Stellwerk durchrollen bis die Fotografen Kreissignal gebend den Idealfotopunkt markieren. Äußerst praktisch, gibt es so doch noch eine Aufnahme mit Reiterstellwerk.
An der Tankanlage im Bw angekommen herrscht hier schon bald der Ausnahmezustand. Der Stellwerker obendrüber auf "Hs" bekommt ob der Fotografenmeute schon bald den ersten Herzkasper. Kollege Jens aus der Fahrzeugbereitstellung (Gruß an dieser Stelle) stattet ihm einen Besuch ab. Das aufgetischte Märchen des für Werbeaufnahmen anwesenden Bundesbahnfotografen hat er tatsächlich gefressen, so dass mit Hilfe der vorab eingeweihten Lokleitung nun nach Herzenslust allerlei Motivmaterial aufgefahren werden kann. Die Mamiya an den inzwischen eingetroffenen Martin übergeben, kann ich mich voll auf die Rangierarbeiten konzentrieren. Nach einer guten Stunde sind alle Maschinen wieder auf ihre Abstellplätze verteilt, und der Spuk vorbei.
Auch die eisenbahnbegeisterten Kollegen der B-Gruppe waren in der Zwischenzeit nicht untätig und haben haarscharf ermittelt, das die gleichfarbige 103 220 bald mit dem IC 521 aus Hamburg in der Volmestadt eintreffen würde. Mit dem Stellwerk "Hpf" haben sie schon einen Fototermin im Hauptbahnhof vereinbart. Schnell die beiden Stars wieder aufgerüstet und vor der großen Haupthalle in Gleis 10a Stellung bezogen. Der planmäßige Halteplatz der IC´s Richtung Köln liegt passenderweise in den hintereinander angeordneten Gleisen 9 ⁄ 10 und wird mittels einer H-Tafel mit Zusatz "IC" markiert.
Genau dort kommt der 521 dann auch Führerstand vis a vis zum Stehen und der Kollege vom Fernverkehr ist sichtlich erstaunt über das ungewöhnliche Zusammentreffen; das dabei etwas nachgeholfen wurde verrate ich ihm aber nicht. Nach diesem Event können die beiden Loks sofort dem inzwischen im Dienst befindlichen Küstenfahrer übergeben werden, der sich nach Besorgung einiger fehlender Buchfahrpläne gleich auf den Weg nach Hagen-Kabel macht. Nach zwei Stunden im Büro geht für mich ein sehr ereignisreicher Tag mit nicht wiederholbaren Bildern dann zu Ende.
> Zum Seitenanfang |